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geschrieben vom unübertrefflichen renzo

 

   

 

 

 

ohmacht - schöni wäut – d’handorgele, dr mönsch uds glück. (self-released)

 

Dieses Release hat es in sich! Die Beats sind innovativ, die Lyrics tiefgründig. Hinter dem Namen Ohmacht steht ein extrem talentierter Emcee und Beatbastler namens bsuecher 13/7, der aus der Nähe von Bern stammt. Wenn bsuecher 13/7 sich nicht des Schweizerdeutschen bedienen würde, glaube ich kaum, dass jemand, der das Album hört, je darauf kommen könnte, dass sich hinter den musikalischen Landschaften ein Schweizer Produzent verbirgt. Die Tracks haben alle eine eigene Seele, eine unglaubliche Kraft, die sich auf den Hörer überträgt, wenn er der Musik gegenüber offen ist. Sicher ist es kein Album, das jedem Otto Normalverbraucher wie nichts reingeht, ganz im Gegenteil; die meisten Tracks bedürfen eines mehrmaligen Hörens bis man auch wirklich nachvollziehen kann, was da auf einen zukommt. Da eröffenen sich einem Staunenden wir mir herrliche musikalische und emotionale Gebilde. Von Drum-Gewittern und abstrakten Beats bis hin zu genial ausgewählten Samples und Hintergründen. Es ist schwer diese Atmosphäre in Worte zu kleiden. Mal bewegt man sich in düsteren Gefilden eines Herrenschlosses tief in einer Moorlandschaft, im andern Moment befindet man sich auf einem Plateau und die ganze Welt liegt einem zu Füssen.

Im ersten Track „o.h.m.a.c.h.t.“ gibt bsuecher seine Gesangskünste zum Besten. Obwohl oder genau weil er die Töne nicht sauber singt, entsteht eine ganz besondere Atmosphäre, die mich an Songs von Why?, Odd Nosdam und Fog erinnern, auch von den Arrangements her. Begleitet wird der Singsang von einem geilen Beat und einem sanften Sample.

Der Anfang des zweiten Tracks, der den Titel „ersieunddiehandorgel“ trägt, verbreitet eine einsame Landstrassenatmosphäre bei Nacht. Stellt euch dazu einmal die berühmten Bilder zu David Lynch’s Meisterwerk „Lost Highway“ vor und ihr werdet hoffentlich wissen, was ich ungefähr auszudrücken versuche. Ein ruhiges und melancholisches Klaviersample begleitet Ohmacht durch den Track. Thematisiert wird in diesem Song das Familienleben, das von der heutigen Gesellschaft mehr und mehr vernachlässigt wird, da die Zeit nicht mehr ausreicht für sich selber und dann auch noch für die Kinder oder die Frau oder den Mann zu schauen. Die Schwerfälligkeit der Menschheit, Gefühle in Worte zu fassen und diese Gefühle auch anderen Menschen zu zeigen, beeinflussen die Entwicklung vom jungen Menschen zum Erwachsenen. Menschen schaffen es auch immer wieder die Wahrheit, die sich vor ihren Augen abspielt, nicht als solche anzuerkennen: „Eigentlech isch dr Papa so lieb, seit dr suhn u schliesst d ouge vor dunkle Wahrheit“. Das Leben einer Familie ist um einiges schneller zerstört, es ist sehr viel einfacher destruktiv als kreativ zu sein: „Aukohou zerstört ei familie, fürdi familie ischs e ganzi wäut, ke glanz, ke gäut, ke liebi, ke hoffnig, ke fröid, ke glück, dr sohn am änd, steid im bad, isch vom fliessende bluet us sim haus entzückt […] er het sech nie mitteilt, het au sini problem aber ufgschribe i sim tagebuech“. Der Song erfasst viele Facetten des (Zusammen-) Lebens, die ich hier nicht alle aufzählen möchte. Wenn man die Texte und die Musik wirklich auf sich wirken lässt, ist es unumgänglich, dass man emotional mitgerissen wird. Die musikalische Landschaft, die hier kreiert wurde, enthält eine mächtige Kraft, die den Hörer fesselt. Wenn ich mir einen kurze Analogie zur Dramentheorie erlauben darf, behaupte ich, dass die reinigende Katharsis auch hier am Ende des Albums Einzug hält. Allein dieser Track enthält so viele interessante Aussagen, wie es manche HipHopper in ihrer ganzen Karriere nicht zusammentragen können.  

„Hiuflos“ erinnert mich in den ersten Sekunden den Track „Stocking Stuffer“ von Grand Buffet, wo man den 80er Jahre Einfluss noch sehr gut hören kann. Nicht das der Ohmacht Track etwas mit den 80ern zu tun hätte, trotzdem entsteht ein Depeche Mode-iges Gefühl. Danach geht es in Richtung „Salt On Everything“ von Sole. Genial gebrauchte Gitarrensamples verleihen dem Track eine hintergründige Energie, die die Lyrics ergänzend unterstützt.

Bedrückt kommt „autag“ des Weges. Die vorherrschende Stimmung im Track lässt erahnen, was Alltag für gewisse Menschen auf dieser Welt heisst: „I wachen uf, dr chopf schmärzt, derbi, derbi isch är so lär, und irgendwie doch so schwär, z liecht isch us, i bin allei ir dunkelheit, das isch d wohrheit, i bin gloub nackt oder emol net richtig agleit, i da händ u da füess han i gloub kei gspühri meh, es isch chalt, es isch chalt i dem ruum“. Die Kälte beschränkt sich leider nicht nur auf den „ruum“, sondern auf die ganze (Um-) Welt.  

„schöni.wäut.a).“ ist mein persönlicher Lieblingstrack auf dem Album. In welcher Sprache die Hintergrundstimme sich anfangs des Tracks mitteilt, kann ich leider nicht erkennen, denke aber, dass es sich um etwas gälisches oder arabisches handeln könnte. Dieser Beat lässt mich ein paar Jahre zurück denken, als ich mich noch auf elektronische Musik spezialisiert habe. In dieser Zeit bin ich über ein Album gestolpert, das einen grossen Teil meiner Hörgewohnheiten geändert hat: das Album trägt den Titel „Lunatic Harness“ und wurde von einer Crew oder einem Artist mit dem Namen µ-ziq (music) veröffentlicht. Entfernter erinnert es mich an Kompositionen von Air (French Band).

Den absolute Hammereinstieg bietet der Track „schöni.wäut.b).“, wo Ohmacht mit Unterstützung von DJ Questionmark seine Kreativität und Abstraktion beweisen kann. Gesamplet wird zu Beginn ein berühmtes Geburtstaglied, doch ich überlasse es euch selbst, reinzuhören und herauszufinden, um welches es sich handelt. Nach diesem Sample folgt ein Ausschnitt aus Jive Bunny & The Mastermixers bevor „4, 3, 2, 1“ der Beat hart einsetzt. Der Track hat in den ersten 40 Sekunden einen B-Boy-Soundeinfluss, nicht unbedingt der Beat, eher die Begleiterscheinung dazu. Danach verliert sich der Track in den Tiefen eines Beat- und Scratchkonstrukts.

Wir sind noch nicht ganz am Ende des Albums angekommen. Der zweitletzte Track mit Namen „protescht.song.für.mi.“ offeriert der Hörerschaft noch mal einen Hörgenuss der ganz besonderen Art. Und hier ist wohl das Sample anzutreffen, das mich überhaupt am meisten gepackt und ergriffen hat. Nein, nicht das Harfenspiel spricht mich primär an. Nach einer Spielzeit von circa 7 Minuten verblüffte mich der Einsatz eines der schönsten Liebeslieder, die jemals geschrieben wurden. Und schon wieder lass ich euch im Stich, denn auch diesen Titel möchte ich nicht einfach so preisgeben, da es wirklich eine Burne.Aarrangement ist. Begleitet wird diese kurze Sequenz von folgenden Worten: „hey du, schöni jungi frou wieso liebsch mi ned, lebsch lieber i dem troum u stirbsch achli, wärsch met mr zäme gsi, dä wärsch nit worde wa d itza worde bisch, du wärsch glücklich, riifer und net im strossegrabe, wo itz ermordet liggsch. I ha de gliebt, so fescht wie i no nie öpper gliebt ha kah, dini gedanke, dini ouge, eigetlech dis ganze gsicht. I han gmeint, liebi erreicht ma mit schöne wörter, i han aber gmerkt, i liebe dini gedanke, aber leider nit din körper. Trotzdem hätti mit dir wölle zäme si, dr wonsch offebar chli lähmend gsi, schlossendlich bini während wuche numeno am gränne gsi und z einzige, wo du mir gseit hesch: ‚I lieba di ne, aber bitte, bitte erhäng di ne’. Wie spät man immer erst erkennt, dass man zu viel Energie für gewisse Menschen aufgewendet hat, wird hier ersichtlich.

Ein Bonustrack ist auch auf dem Album vorhanden und es ist ein Stück, das man ebenfalls nicht vergessen sollte. Hier herrscht eine ähnliche Stimmung vor wie man sie im Film „Donnie Darko“ vorfindet; melancholisch sanfte Klavierstimmen unterstreichen den Text von bsuecher.

Abschliessend kann ich es nur jedem ganz Nahe ans Herzen legen, dass er sich das Album reinzieht und es auf sich wirken lässt. Wie gesagt, es ist kein einfaches Album. Man muss sich wirklich damit auseinandersetzen, um zu verstehen, was Ohmacht damit ausdrücken will. Wenn man aber den Faden einmal gefunden hat, lässt man nicht mehr los.

   
 

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  • o.h.m.a.c.h.t.

  • ersieunddiehandorgel. (co-produced: gambit / revolt rec.)

  • hiuflos.vrlore.verstört.

  • schaf.hirte.winter.schlaf.

  • dr.mönsch.u.ds.glück.

  • autag.

  • leid.1.2

  • troumwäut.1.2.

  • schöni.wäut.a).

  • schöni.wäut.b).     (cuts:dj questionmark / revolt rec.)

  • protescht.song.für.mi.

  • so.schön.sinnlos.

  • bonus.träck.

 

 
 
         

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